In El Tanak riecht es nach Unrat, nach Elend, nach Armut. Die Behausung von Afat El Hag, Mutter von elf Kindern, besteht aus grob gemauerten Zementsteinen. Nasskalt zieht es durch die Wände. Das Dach: eine Plastikfolie. Wenn es regnet, sagt sie, steht alles im Wasser.
Die hygienischen Umstände in El Tanak, eine Katastrophe. Vielleicht 2.000 Menschen leben hier so wie Frau Afat. Ihre Heimat ist eines von vielen Armutsgebieten in der Hafenstadt Tripolis, der zweitgrößten Stadt des Libanon.
Dritter Lockdown trifft gesamte Bevölkerung im Libanon
Die Arbeitslosenquote liegt bei 50 Prozent, so offizielle Quellen. Wahrscheinlich ist sie deutlich höher, glaubt Frau Afat. Zwei Corona-bedingte Lockdowns im vergangenen Jahr hat Frau Afat überstanden. Gerade so, irgendwie. Wenn jemand Reserven hatte, sagt sie, dann sind diese längst aufgebraucht.
Zuerst haben nur die Armen gelitten. Nun aber trifft seit dem 7. Januar der dritte und härteste Lockdown alle Bewohner des Libanon. Wie lange dieser Zustand dauert, ist offen.Corona macht Probleme im Land sichtbar
Es ist nicht die Pandemie allein, die Land und Leute wirtschaftlich an den Abgrund führt. Zuerst waren da Korruption, Vetternwirtschaft, Unvermögen und Machtmissbrauch politischer Eliten. Corona hat sichtbar gemacht, was zuvor lediglich verborgen war.
Der Libanon, einst als Schweiz des Nahen Osten gepriesen, ist Sinnbild beispiellosen wirtschaftlichen Absturzes. Die Landeswährung - früher an den US-Dollar gekoppelt - ist nahezu wertlos. Selbst einfache Lebensmittel sind inzwischen unerschwinglich teuer geworden.
UN: Hälfte der Menschen lebt in Armut
Laut den Vereinten Nationen vegetiert inzwischen die Hälfte aller Libanesen unterhalb der Armutsgrenze. Gefühlt sind es deutlich mehr. Früher, zu normalen Zeiten, wie Frau Afat sagt, lebten sie von der Hand in den Mund. Für Arme war das Überleben im Libanon schon immer beschwerlich.
Doch nun hätten Corona und der dritte Lockdown ihre Lebensumstände unerträglich gemacht.
"Mein Mann ist nun zuhause, ohne Job. Wir warten, bis jemand vorbeikommt und Brot bringt, damit wenigstens die Kinder zu essen haben." Afat wartet an diesem Tag vergebens. Keine Hilfe - niemand kommt mit Brot. Sie fühlt sich vergessen von aller Welt.
"Es ist dieser Druck, dieser Armutsstress", erklärt sie, der verzweifeln lässt. Der krank macht, wenn das Leben nur noch aus Hoffnungslosigkeit bestehe. So wie Frau Afat geht es vielen anderen auch.
Tausende protestieren gewaltsam in Tripolis
Und es ist diese Frustration, die in den vergangenen Wochen Tausende meist junger Männer zu Protesten auf die Straße treibt. Die ihre Wut auslassen, an Sicherheitskräften. Die voll Zorn das Gebäude der Stadtverwaltung in Tripolis in Brand setzen, genauso wie Autos. Straßenschlachten toben in der Innenstadt - es sind Bilder wie aus einem Bürgerkrieg.
Nur mit der eiligen Verlegung zusätzlicher Einheiten der Armee, so ist zu hören, war die Lage in Tripolis wieder in den Griff zu bekommen. Niemand mag eine Prognose wagen, wie lange diese angespannte Ruhe nun anhält.
Kein Geld für Lebensmittel
Mohamed El Bay, Protestierender der ersten Stunde in Tripolis, erklärt die Dinge auf seine Weise:
Es heißt, die Leute sollen wegen Corona zuhause bleiben. "Ich will das befolgen - aber macht mir das doch bitte auch möglich", sagt er. Wie könne man die Leute zuhause im Lockdown einsperren und sie dabei nicht mit Lebensmitteln versorgen, fragt Mohamed El Bay. "Erklär mir das? Das hier wird mich umbringen", schließt er.
Uli Gack ist Leiter des ZDF-Studios in Kairo. Dem Autor auf Twitter folgen: @UliGack
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